Artikel von Anne-Katrin Schneider, Rebekka Wieland
Die treibenden Kräfte hinter den Veränderungen in der Sozialwirtschaft sind vielfältig und erfordern von den Organisationen eine konstante Anpassung an neue Gegebenheiten. Die Umsetzung des Bundesteilhabegesetzes (BTHG) bildet seit dem Jahr 2016 die Grundlage für eine moderne Dienstleistung der Eingliederungshilfe, welche den Ansprüchen der UN-Behindertenrechtskonvention entspricht. Die aktuelle Umsetzungsphase stellt nicht nur die Mitglieder der Kommissionen in den Bundesländern, die die rechtlichen Rahmenbedingungen für die Bundesländer festlegen, vor große Herausforderungen, sondern auch die Leistungserbringer. Unabhängig von den aktuellen Ständen der Landesrahmenverträge und dem Umsetzungsstand der Bundesländer, steht schon seit längerer Zeit fest: Die Dienstleistungserbringung der Eingliederungshilfe wird sich verändern (müssen). Dies betrifft in besonderer Art und Weise die Angebote der Besonderen Wohnform.
Der externe Faktor der BTHG-Umstellung und die damit verbundenen Änderungen des rechtlichen Rahmens zwingen die Leistungserbringer, die internen Strukturen und Prozesse neu auszurichten, um den zukünftigen Anforderungen zu genügen. Die Anforderungen der Veränderung gehen jedoch weit über reine technische Anpassungen hinaus. Vielmehr fordern sie eine tiefgreifende Neugestaltung von Arbeitsprozessen sowie der Unternehmenskultur. Die Folgen sind dabei vielschichtig: Während sie eine erhöhte Effizienz, verbesserte Arbeitsabläufe und Dienstleistungserbringung versprechen, fordert ein solcher Prozess der Mitarbeiterschaft viel ab.
Hinzu kommen externe Rahmenbedingungen, welche den Prozess der Veränderung und die Leistungsfähigkeit vieler Organisationen einschränken, beispielsweise der anhaltende Fach- und Führungskräftemangel. Neben diesen externen Faktoren müssen Organisationen auch intern immer wieder neue Herausforderungen meistern, etwa die Einführung moderner Managementmodelle bei gleichzeitiger Bewahrung der eigenen Werte.
All diese Veränderungen haben weitreichende Auswirkungen auf die Arbeitsabläufe und die Zusammenarbeit. Damit verlangen sie von allen Mitarbeitenden ein hohes Maß an Anpassungsfähigkeit und Flexibilität. Denn für eine erfolgreiche Umsetzung des organisatorischen und strategischen Umbruchs müssen die Mitarbeitenden zwingend den Wandel nachvollziehen können und zugleich neue Kompetenzen aufbauen.
Change Management als strategische Antwort
Angesichts dieser dynamischen und komplexen Lage ist es für die Sozialwirtschaft zwingend notwendig, nicht nur auf die Veränderungen zu reagieren, sondern gleichzeitig handlungsfähig und flexibel zu bleiben. Dabei spielt das Change Management eine entscheidende Rolle, denn es müssen neben den praktischen Veränderungen auch die adaptiven und emotionalen Aspekte des Wandels berücksichtigt werden, um einen nachhaltigen Transformationsprozess zu gewährleisten.
Durch ein aktives Change Management lassen sich die notwendigen Strukturen und Unterstützungen schaffen, um Veränderungen systematisch und zielgerichtet anzugehen und die Anpassung an neue Bedingungen zu erleichtern. Ziel ist es, eine Unternehmenskultur zu entwickeln, die Veränderungen als Chance begreift und proaktiv darauf reagiert. Dazu muss gezielt das Mindset in der Organisation gestärkt werden. Kontinuierliche Schulungen befähigen die Mitarbeitenden, die notwendigen Kompetenzen zu erwerben – und das nicht nur fachlich, sondern auch in Bezug auf Anpassungsfähigkeit und Eigeninitiative.
Wie sieht ein strukturiertes, ganzheitliches Change Management aus? – Ein Praxisbericht zum rn Change Management Ansatz
Ein strukturierter, ganzheitlicher Change Management Ansatz berücksichtigt die drei wesentlichen Ebenen des Wandels, wie im rn Change Management Ansatz (s. nachfolgende Abbildung) beschrieben.
Die technische und organisatorische Ebene beschreibt konkrete Veränderungen wie die Einführung neuer Software, während die adaptive Ebene die daraus hervorgehenden notwendigen Verhaltensanpassungen der Mitarbeitenden umfasst. Daraus entstehende Reaktionen der Beteiligten nimmt die emotionale Ebene in den Blick, wie beispielsweise Existenzängste oder Sorgen über die eigene Rolle im neuen System.
In der Umsetzung von Change Management sind verschiedene Gestaltungselemente essenziell, um den Wandel aktiv zu gestalten:
Zur Integration dieser Elemente lässt sich ein ganzheitliches und auf die spezifischen Bedürfnisse der Organisation abgestimmtes Maßnahmenpaket des Change Managements zusammenstellen.
Change beim VRA e.V. in Leipzig
Doch wie kann es gelingen, diese Anforderungen in der Praxis umzusetzen? Die Anforderungen der BTHG-Umstellung sind keine Eintagsfliege, die als ein kurzfristiger Trend zu sehen sind. Daher stellt sich die Frage, wie machen es andere Leistungserbringer? Der Verein zur sozialen Rehabilitation von Abhängigkeitskranken e.V. (kurz VRA e.V.) in Leipzig und rosenbaum nagy haben sich zu Beginn des Jahres 2024 auf den Weg gemacht, die notwendigen Veränderungsprozesse einzuleiten.
Im Rahmen der BTHG-Umsetzungsbegleitung berät rosenbaum nagy den VRA e.V. nicht nur in der Erstellung der Fachkonzeption, in den Bereichen inhaltliche Ausrichtung und betriebwirtschaftliche Steuerung, sondern auch in der Umsetzung. Ganz bewusst nimmt rosenbaum nagy die Rolle der Sparringspartnerin ein und nutzt gezielt den Blick von „außen“, um bestehende Prozesse zu überprüfen. Dies gelingt vor allem, da gezielt der Finger in die Wunden der „alten Welt“ gelegt wird und so der Transformationsprozess auf verschiedenen Detailebenen angesprochen, reflektiert und geplant wird.
Der VRA e.V. hat sich zum Ziel gesetzt, die Mitarbeitenden beim Changeprozess gezielt in den Fokus zu setzen und somit die Organisation zukunftsfähig aufzustellen. So war es den beiden Geschäftsführern, Herrn Norbert Schindler und Jens Böttcher, wichtig, einen gemeinsamen Weg zu finden, in dem die Bedürfnisse der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit den notwendigen Veränderungen einhergehen können. Begonnen haben sie zunächst damit, die Mitarbeitenden über die notwendigen Veränderungen durch das Bundesteilhabegesetz zu informieren und den Paradigmenwechsel auf verschiedenen Ebenen besprechbar zu machen. Diese stellt für die beiden eine wichtige Grundvoraussetzung dar. „Nur durch eine Veränderung der Haltung können wir den Changeprozess nachhaltig umsetzen“, so Norbert Schindler und ergänzt: „Eine positive Haltung zu den Veränderungsprozessen, in dem Wissen, dass wir unsere Dienstleistung stetig verbessern, hilft allen, sich auf den Prozess einzulassen.“ Jens Böttcher berichtet weiter: „Die Begleitung der Mitarbeitenden rückt bei uns aktuell in den Fokus. Wir, als Leitungsteam, werden auch extern begleitet, daher macht es nur Sinn, zu Beginn genau hinzuschauen, welchen Informations- und teils auch Coachingbedarf jeder Einzelne benötigt.“ Orientiert am rn Change Management Ansatz, wurden zunächst die drei Ebenen technischer Wandel, adaptiver Wandel und emotionaler Wandel in den Blick genommen. Anders als vielfach üblich, hat sich der VRA e.V. zum Ziel gesetzt, insbesondere den emotionalen Wandel innerhalb der Organisation genauer in den Blick zu nehmen.
Dies gelang damit, dass sich zunächst alle Beteiligten damit auseinandergesetzt haben, welche Ängste und Sorgen bei Mitarbeitenden ausgelöst werden und welche Antworten die passenden darauf sein könnten.
Vielfache Äußerungen der Ängste waren:
Ebenso wurden Sorgen ernst genommen, wie
Der achtsame und wertfreie Blick auf die Emotionen der Mitarbeitenden war für den VRA e.V. wichtig, um neue Strukturen zu schaffen, die Sicherheiten geben, um gemeinsam neue Lösungsansätze zu finden.
„Wir haben zunächst damit begonnen, uns über unser Wording Gedanken zu machen, also passt das aktuelle Wording noch zur neuen Welt?“ berichtet Norbert Schindler, „Dabei wollten wir nicht Top-down vorgeben, welches Wording nun passt, sondern sind in den Austausch mit allen gegangen. So konnte eine neue, gemeinsame Sprache entwickelt werden.“ Dass der Weg zur Umsetzung langwierig ist, das wissen hier alle Beteiligten. Auch, dass dies Emotionen hervorruft. Wie wichtig es ist, diese Emotionen besprechbar zu machen, weiß auch Katrin Vondran, Verwaltung: „Der Paradigmenwechsel betrifft alle Mitglieder der Organisation, von den Leistungsberechtigten über die Mitarbeitenden bis hin zu Angehörigen. Daher tauschen wir uns regelmäßig aus, verfallen zeitgleich aber nicht in eine emotionale Starre, sondern packen die Dinge nacheinander an. Eine kurze Einordnung der Unsicherheiten, eine schnelle Beantwortung der Frage, eine Reflexion der Situation oder das Einhalten von Verabredungen sind ungemein wichtig.“
Der VRA e.V. befindet sich mitten in einem Change-Prozess und Jens Böttcher weiß, dass Missverständnisse, Ärgernisse und Fehler dazu gehören. „Aber nur dadurch können wir als Verein widerstandsfähiger werden, denn diese Prozesse werden in der Zukunft verstärkt auf uns zukommen. Wir üben für uns Change Management auf allen Ebenen aus und sehen darin einen großen Mehrwert und Wettbewerbsvorteil.“
Was alle drei in ihrem Vorhaben stärkt, sind die Entwicklungen, die aktuell zu beobachten sind. So entstehen aktuell kleine „Arbeitsgruppen“, die Themen wie Leistungskataloge eigenständig diskutieren und entwickeln wollen. „Aktuell sehe ich, dass die Motivation zur Umsetzung unglaublich hoch ist und was mich am meisten überrascht, ist, dass viele strategische Veränderungen von den Mitarbeitenden selbst an uns herangetragen werden, an die wir noch gar nicht gedacht haben! “ „Wie zum Beispiel, dass sich die Dokumentation verändern sollte, um passende Informationen zu erhalten.“, sagt Norbert Schindler.
Feststeht, dass der eingeleitete Paradigmenwechsel durch die Veränderung des SGB IX die Dienstleistungserbringung in der Eingliederungshilfe massiv fordert. Aber auch, dass diese Transformation von einer Fürsorge geprägten Eingliederungshilfe hin zu einer gleichberechtigten und teilhabeorientierten Eingliederungshilfe zwingend notwendig ist. Der VRA e.V. hat beschlossen, diesen Weg in die Zukunft umfassend zu gehen: in eine moderne Eingliederungshilfe und somit auch in eine nachhaltige Unternehmensführung.