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Qualität sichern, Wirksamkeit steigern:
Der Schlüssel wissenschaftlicher Methoden
in der sozialen Dienstleistungserbringung

Artikel von Meike Fechner

„Qualität“ – ein scheinbar trivialer Begriff mit gleichzeitig schillerndem Bedeutungsinhalt für die Menschheit, mindestens seit dem Austausch von Waren und Gütern. Doch was bedeutet diese Kategorie im Kontext personenzentrierter, sozialer Dienstleistungen? Und wer entscheidet gerade hier über Qualitätsstandards mit welchem Interesse?

Um den dynamischen Charakter von „Qualität“ zu erfassen, ist es wesentlich, zuerst die Dialektik des Begriffs zu berücksichtigen. Qualität verweist nämlich einerseits auf das Einzigartige, Individuelle und Innovative – während es andererseits das Standardisierte und Einheitliche umfasst, das universell für alle Objekte bzw. Subjekte gelten kann. Im Sozial- und Gesundheitswesen dominiert oft der zweite Aspekt, wenn von Qualität gesprochen wird. Hinzu kommt die Besonderheit, dass durch soziale Dienstleistungen immaterielle Güter produziert werden, weshalb die Realisierung von Qualität sich hier nicht nur auf die messbare Exzellenz des „Endprodukts“ konzentrieren darf, sondern gerade der Fokus auf die Prozessqualität zu richten ist, d.h. wie die Dienstleistung erbracht wird.

Mit der dritten Reformstufe des Bundesteilhabegesetzes (BTHG) spielt nun nicht mehr rein die Ergebnisqualität die Hauptrolle, d.h. die Wirkung die beim Leistungsberechtigten eingetreten ist, sondern insbesondere wird gemäß § 125 Abs. 1 die Qualität der erbrachten Leistung durch die Überprüfung ihrer Wirksamkeit ins Vertragsrecht der Eingliederungshilfe eingeführt. Wirksamkeitsnachweise werden somit zu einem wesentlichen Aushängeschild für Anbieter der Eingliederungshilfe und der essenzielle Gradmesser für die Bestimmung von Qualität der sozialen Dienstleistung.

Der Leistungserbringer muss daher fortan nachweisen, dass die erbrachte Leistung, geeignet war und ist, eine bestimmte Wirkung überhaupt erzielen zu können – unabhängig davon, ob der Leistungsberechtigte seine Ziele tatsächlich erreicht hat oder nicht. Diese vertraglichen Änderungen bringen einige Unsicherheiten und Risiken mit sich. Bei unzureichender Leistung besteht nämlich nun das Recht der Leistungsträger, vereinbarte Vergütungen zukünftig zurückzufordern (§ 129 Abs. 1 SGB IX).

Welche Konsequenzen ergeben sich hieraus für die Anbieter der Eingliederungshilfe?

Zur Beurteilung relevanter Qualitätsmerkmale nach der Donabedian-Triade (1996), mit den Dimensionen Struktur-, Prozess- und Ergebnisqualität sozialer Dienstleistungen (vgl. Ghofrani et al. 2024), sind die Leistungserbringer noch mehr als einst gefordert, gerade auf der Prozessebene sowohl wirksame Leistungen in ihrer Fachkonzeption zu definieren, die evidenzbasierte sozial- und heilpädagogische Konzepte und Methoden umfassen, als auch diese in der Praxis entsprechend qualitativ und transparent anzuwenden.

Ohne Frage ist der Bedeutungszuwachs nach mehr und belegbarer Qualität im Zusammenspiel mit Wirkungsorientierung in der Sozialwirtschaft keine gänzlich neue Anforderung. In der Eingliederungshilfe wird das Thema Qualität durch Wirksamkeitsnachweise der Leistungserbringung jedoch jetzt erst prägnant in den Fokus gesetzt (vgl. Ottmann/König 2018: 13). Das heißt nicht, dass die Unterstützung von Menschen mit Behinderung bislang keiner Qualitätsorientierung unterlag; jedoch wurden Qualitätsüberprüfungen primär auf der individuellen Ebene geführt: Hat die leistungsberechtigte Person ihre Ziele erreicht oder nicht? Es wurde somit bisher nur nach Wirkung beim Menschen mit Behinderung gefragt und nicht nach der Wirksamkeit der Dienstleistung (vgl. Ottmann/König 2018: 6).

Dies hat sich mit dem BTHG nun geändert. Denn das schlichte Erreichen bzw. Nicht-Erreichen von Zielen des Leistungsberechtigten ist kein Beweis für kausale Wirkungsmechanismen und damit auch nicht mit der Ergebnisqualität einer Dienstleistung gleichzusetzen (vgl. Ottmann/König 2023) – auch wenn diese Aspekte in der Praxis mitunter fälschlicherweise gleichgesetzt werden. Die Zielerreichung eines Leistungsberechtigten bildet zwar die Grundlage dafür, dass potenziell eine Wirkung entstanden sein kann, wenn jedoch ein Ziel als erreicht eingestuft wird, handelt es sich zunächst erstmal um einen Effekt, der noch keine Aussage über die zugrunde liegenden Ursachen zulässt: Ist das Erreichen des vereinbarten Ziels überhaupt auf das fachliche Einwirken des Leistungserbringers zurückzuführen oder sind andere Kontextfaktoren hierfür verantwortlich? Aufgrund all dieser beeinflussenden Parameter bei der Beurteilung von Wirkung ist es nur konsequent, die Wirksamkeit der erbrachten Leistungen auf der Prozessebene ebenso zu berücksichtigen und zu prüfen.

Den Anbietern in der Eingliederungshilfe gelingt eine nachweislich wirksame Leistungserbringung nur, indem sie den Fokus noch verstärkter auf das methodische Handeln in der Arbeit mit den leistungsberechtigten Menschen legen. Die hohe methodische Professionalität der Mitarbeiter*innen der Eingliederungshilfe nimmt somit den neuen, essenziellen Stellenwert ein, wenn Qualität und Wirksamkeit beurteilt wird. Fundierte Kenntnisse und sichere Handlungskompetenzen, nicht „irgendwelcher“ Methoden, sondern von wissenschaftlich etablierten Konzepten und evidenzbasierten Methoden der Sozial- und Heilpädagogik sowie der Andragogik, sind hier das zentrale Steuerelement.

Der konsequente Einsatz wissenschaftlicher Methoden ist daher einerseits aus der betriebswirtschaftlichen Perspektive essenziell, damit vereinbarte Vergütungen nicht nachträglich zurückgefordert werden können. Andererseits beschäftigt sich die Eingliederungshilfe mit hochkomplexen sozialen Problemlagen und verfolgt das anspruchsvolle Ziel der vollen, wirksamen und gleichberechtigten Teilhabe von Menschen mit Behinderungen (vgl. § 90 SGB IX). Fachkräfte müssen daher in ihrem beruflichen Alltag oft flexibel auf verschiedene Situationen reagieren. Dennoch erfordert gerade diese Komplexität ein methodisch-strukturiertes und reproduzierbares Vorgehen, vor allem da zumeist mehrere Mitarbeitende mit einem Leistungsberechtigten an dessen Zielen zusammenarbeiten. Daher ist eine transparente und hochwertige Anwendung fachlicher Methodik auch für das Gelingen einer guten Teilhabe und gerade im Umgang mit den zunehmend herausfordernden Leistungsberechtigten letztlich auch für die Sicherstellung von Handlungssicherheit der Mitarbeitenden essenziell. Dies beugt wiederum Überforderungssituationen vor, verhindert Burnouts und Kündigungen, stabilisiert die Leistungserbringung und damit letztlich wiederum auch die Wirtschaftlichkeit.

Um die aufgeworfene Fragestellung vom Anfang dieses Beitrags aufzugreifen, wer über Qualitätsstandards bei der Leistungserbringung entscheidet, sollten sich Leistungserbringer der Eingliederungshilfe auf den Weg machen und sich deutlich stärker ihrer Wirksamkeitsoptimierung widmen und hier neue methodische Qualitätsstandards setzen – bevor diese von anderen vorgegeben werden. Denn wer mit Strukturen und Prozessen von gestern arbeitet, wird heute keine neue Qualität erreichen.

Eine hohe Methodenkompetenz, orientiert an modernen und wissenschaftlich anerkannten Konzepten, Methoden und Techniken der Sozialen Arbeit als auch in den Bezugswissenschaften, ist hier der Schlüssel im gegenwärtigen Transformationsprozess der Eingliederungshilfe. Letztlich ist es das effizienteste Werkzeug und das einzige Argument für den Beleg qualitativer und wirksamer Leistungserbringung – gerade auch dann, wenn mal keine Wirkung beim Leistungsberechtigten einsetzt. Und auch, um sich fachlich dem einst gelebten Fürsorgeprinzip in der Eingliederungshilfe zu entledigen und sich zu einem modernen sozialen Dienstleister weiterzuentwickeln. Dieser Aufgabe gilt es, sich nun durch die Leistungserbringer und ihre Fachkräfte konsequent in der Praxis zu widmen. Anbieter müssen jetzt aktiv werden und gezielt analysieren, wie sie ihre Prozesse und Strukturen an die dargestellten neuen Anforderungen anpassen können.

Daher sollten die Leistungsanbieter beginnen, zeitgemäße Methoden und evidenzbasierte Ansätze in ihren Organisationen aufzubauen und diese Professionalität nach Außen zu zeigen.

Dafür braucht es ein umfassendes Assessment der Mitarbeitenden, um deren Qualifikationen und Methodenkompetenzen gezielt zu erfassen und weiterzuentwickeln. Diese Erkenntnisse bilden die Basis für individuelle Fortbildungsmaßnahmen, die gezielt weiterbilden und Unsicherheiten abbauen. Und sie fungieren parallel als steuerndes Instrument, um die Mitarbeitenden in ihrer Rolle zu stärken und klare Profile und Kriterien für die wirksame Dienstleistungserbringung zu kreieren. Dies kann im Zuge einer Qualifizierungsoffensive für alle Mitarbeitenden – auch ohne fachliche Ausbildung – durch ein gezieltes Onboarding und/oder im  Rahmen Mitarbeitendengesprächen gelingen. Dadurch wird sichergestellt, dass alle Mitarbeitenden zur Qualität der Dienstleistungen beitragen können und sicherer in ihrer Arbeit und der Leistungserbringung werden. Ein weiteres Element können interne Multiplikatorenmodelle sein, die die fachliche Qualifikation innerhalb Ihrer Einrichtung kontinuierlich stärken. Diese Maßnahmen sind essenziell für eine erfolgreiche Transformation, hin zu einer nachweislich wirksamen Leistungserbringung und der Steigerung der Arbeitgeberattraktivität.

Die Leistungsanbieter sollten daher ihre Fachkonzepte und Methodenhandbücher als dynamisches Instrument verstehen, welches sich stetig verändert und weiterentwickelt werden muss. Die Methodenkompetenz der Mitarbeitenden muss daher einen bedeutsamen Stellenwert als Steuerungsinstrument im Dienstleistungsprozess zukommen.

Wir als rosenbaum nagy unterstützen Sie gerne auf diesem Weg. Sollten wir Ihr Interesse geweckt haben, freuen wir uns über Ihre Kontaktaufnahme.

Literaturverzeichnis: Ghofrani, Marjan/ Valizadeh, Leila/ Zamanzadeh, Vahid/ Ghahramanian, Akram/ Janati, Ali/ Taleghani, Fariba (2024): Adapting the Donabedian model in undergraduate nursing education: a modifed Delphi study. BMC Medical Education 202. 

Ottmann, Sebastian/König, Joachim (2023): Wirkungsorientierung in der Sozialen Arbeit. Eine Einführung für Studium und Praxis. Grundwissen Soziale Arbeit. 1. Auflage, Band 45. Stuttgart: Kohlhammer Verlag

Ottmann, Sebastian/König, Joachim (2018): Was wirkt wie? – Konzeptionelle Überlegungen zur Messung und Analyse von Wirkungen in der Sozialen Arbeit. Der Wirkungsradar des Instituts für Praxisforschung und Evaluation der Evangelischen Hochschule Nürnberg. Forschung, Entwicklung, Transfer – Nürnberger Hochschulschriften, Nr. 29.  Nürnberg: Evangelische Hochschule Nürnberg. Online unter: doi: 10.17883/fet-schriften029.