Artikel von Anne-Katrin Schneider
Die Erstellung von Fachkonzepten ist für Anbieter von Eingliederungshilfeleistungen angesichts der Bestimmungen des Bundesteilhabegesetzes (BTHG) von strategischer Bedeutung. Das Fachkonzept unterscheidet sich qualitativ wie quantitativ erheblich von den einstigen Konzepten sozialer Einrichtungen und geht damit weit über die bloße Darstellung pädagogischer Grundsätze und Leitbilder hinaus.
Die Fachkonzeption stellt somit fortan umfassende Anforderungen an die Auseinandersetzung mit den Zielgruppen, an welche sich die angebotenen Leistungen ausrichten und erfordert eine personenzentrierte, dezidierte methodische Ausrichtung, und eine teilhabeorientierte Qualitätssicherung und -entwicklung. Damit handelt es sich beim Fachkonzept, um ein zentrales, dynamisches Instrument. Dieses dient nicht nur der Beschreibung der fachlichen Dienstleistung, sondern fungiert parallel als Wissensmanagementsystem einer Organisation und beinhaltet eine verbindliche Grundlage für die Planung und Steuerung sowie Erbringung und Weiterentwicklung der Dienstleistung, gemäß der gesetzlichen Anforderungen.
Als Grundlage für Verhandlungen nach den jeweiligen Landesrahmenverträgen besteht für Anbieter von Eingliederungshilfeleistungen die Notwendigkeit zur Erstellung von Fachkonzepten. Diese erhalten durch die Umsetzung des BTHG eine hohe strategische Bedeutung, welche sich von der Praxis in der Vergangenheit deutlich unterscheidet.
War es bis dato meist ausreichend, dass eine Konzeption für die Eingliederungshilfe vor allem die pädagogische Ausrichtung, Grundsätze der Qualitätsanforderungen und die Nennung der Zielgruppen beschreibt, werden mit der Umstellung umfassende Aussagen zum Leistungsgeschehen, eine intensive Auseinandersetzung mit der Zielgruppe und fundierte methodische Beschreibungen erwartet. Zudem sind sie Grundlage für die Vergütungsverhandlungen und umfassen somit die Herleitung der notwendigen Refinanzierungsbauteile.
Das Fachkonzept wird in vielen Bundesländern bzw. den jeweiligen Landesrahmenverträgen als Bestandteil eines qualitativ angemessenen Leistungsangebotes und dessen Weiterentwicklung verstanden. Gleichzeitig ergeben sich häufig wenig konkrete inhaltliche Anforderungen an die fachlichen Konzeptionen selbst.
Nun stellt sich für viele Leistungserbringer die Frage, mit wie viel Aufwand die Fachkonzepte erstellt werden sollten. Folgende Beispiele können bei der individuellen Beantwortung helfen.
Mit dem Fachkonzept den Perspektivwechsel einleiten
Die Frage nach dem Aufwand und der Notwendigkeit von dezidierten Beschreibungen lässt sich nicht pauschal beantworten. Daher lohnt es sich, an dieser Stelle einen Perspektivwechsel vorzunehmen:
Welche Lesenden sind die Zielgruppe der Fachkonzeption?
Die Beantwortung der Frage, für wen die Konzeption erstellt wird, ist leitend für den Inhalt und den Umfang. Wird das Fachkonzept ausschließlich für den notwendigen Verwaltungsakt, dem Abschluss einer Leistungs- und Vergütungsvereinbarung geschrieben, so braucht es einen hierfür angemessenen Detailgrad, da in diesem Fall voranging auf die Funktionalität und die Herleitung der Entgelte Bezug genommen wird.
Soll das Fachkonzept als Leitfaden des Change Prozesses verstanden werden, um den Anforderungen der Systemumstellung, nach dem BTHG, inner- und außerhalb der Organisation gerecht zu werden? Dann ist die primäre Zielgruppe der Lesenden nicht der Leistungsträger, sondern die eigenen Mitarbeitenden und Stakeholder.
Die Inhalte der Konzeption geben Antworten auf relevante strategische Ziele und stellen strukturgebende Leitplanken der zukünftigen Leistungserbringung dar.
Wer wirkt bei der Erstellung mit?
Auch die Beantwortung der Frage, wer bei der Erstellung beteiligt wird, leitet den Perspektivwechsel ein. Bei einem funktionalen Fachkonzept, welches eher an “der alten Welt” ausgerichtet ist, ist ein kleiner Kreis von Fachexperten meist ausreichend. Ist das Ziel, die Organisation auf die BTHG-Umstellung vorzubereiten, wird ein größerer Kreis der Teilnehmenden empfohlen. Dieser sollte auch durch verschiedene Fachdisziplinen besetzt sein. Denn eine intensive Auseinandersetzung mit den einzelnen Themenbereichen des Fachkonzeptes und den Grundlagen des Landesrahmenvertrags, dient als erster Wissensaufbau, der wiederum durch verschiedene Personen in die Organisation getragen wird. Durch die Beteiligung einer größeren Anzahl an Teilnehmenden können vielschichtige Blickwinkel und Expertisen in den Entscheidungsprozess einbezogen werden. Dieses Vorgehen minimiert das Risiko, am Bedarf der Organisation vorbeizuentscheiden. Durch den Prozess der intensiven Auseinandersetzung mit den externen Anforderungen und der Teilhabe an Entscheidungsprozessen, entwickelt sich eine angebotsspezifische Vision und Haltung. Diese ist für den Umstellungsprozess tragend.
Ein weiterer positiver Aspekt bei der Vergrößerung des Teilnehmerkreises ist der kollektive Wissensaufbau. Expertenwissen, welches nur wenige Personen haben, wird auf einen größeren Kreis übertragen und Wissensträger verschiedener Disziplinen (Pädagogik, Betriebswirtschaft, Qualitätsmanagement) erhalten die Möglichkeit ihre Expertisen zu teilen, gegenseitig zu erweitern und darüber in den Austausch zu gehen. Dieser Diskurs ist im Tagesgeschäft kaum umsetzbar. So können im Rahmen der Entwicklung der Konzeptionen interne Prozesse umfassend betrachtet werden, auf die neuen Anforderungen ausgerichtet werden und in einen sinnvollen Umsetzungskontext gebracht werden.
Mit dem Fachkonzept die Dienstleistungsqualität steigern
Mithilfe der Erstellung der Fachkonzeption gelingt es, sich strukturiert mit dem aktuellen Dienstleistungsprozess auseinander zu setzen und eine Ausrichtung der Leistungserbringung festzulegen. Die folgenden Beispiele sollen exemplarisch darstellen, wie die Erstellung der Fachkonzeption den Veränderungsprozess unterstützen können:
Definition des Personenkreises:
In der alten Welt war eine Zuordnung zu groben Bedarfsgruppen, oder Leistungstypen meist ausreichend. Die grundsätzliche Frage, die sich gestellt werden sollte ist, sind pauschale Beschreibungen im Sinne einer personenzentrierten Eingliederungshilfe möglich und können diese den tatsächlichen Bedarf erfassen?
Im Sinne einer ICF orientierten Beschreibungen der Bedarfe der Zielgruppe für ein spezielles Angebot werden Leitplanken erarbeitet, für welchen konkreten Personenkreis die Dienstleistungserbringung angedacht ist. Dies ermöglicht eine fachliche Auseinandersetzung mit der Thematik, an welchem Standort eine individuelle bedarfsorientierte Leistung sinnvoll erbracht werden kann. Hier lohnt es sich genauer hinzuschauen und von pauschalen Formulierungen Abstand zu nehmen. Auch wenn nicht alle Einzelfälle sich in den Beschreibungen wiederfinden lassen, wird deutlich, auf welche Bedarfe das Angebot ausgerichtet ist und welche Bedarfe inhaltlich nicht vollständig gedeckt werden können.
In der Regel ist es erforderlich, die Mitarbeitenden bei der Ausarbeitung mit einzubeziehen, da sie mit den Leistungsberechtigten vertraut sind und in der Regel auch die Bedürfnisse der Menschen kennen. Die Entwicklung der Fachkonzeption ermöglicht es, das umfangreiche Erfahrungswissen der Mitarbeitenden zu nutzen, das in der Regel auf implizitem individuellem Wissen basiert. Durch die Ausarbeitung des Konzepts wird dieses unverzichtbare Wissen in explizites und gemeinschaftliches Wissen umgewandelt und langfristig genutzt.
Definition der Leistungen:
Die Definition der Leistung hinsichtlich des Inhalts, der Art und des Umfangs stellt die Leistungserbringer vor große Herausforderungen. Da innerhalb der Eingliederungshilfe keine einheitlichen Leistungskataloge existieren, ist es die Aufgabe diese Kataloge im Rahmen der Konzepterstellung zu definieren. Hierbei sind die Beschreibungen des Personenkreises und die angewendeten Methoden die notwendige Basis, um passgenau Dienstleistungen zu beschreiben.
Demnach ist die Beschreibung der Leistung ein essenzieller Aspekt der Konzeption. Es geht nicht um die Auflistung der erbrachten Leistungen, sondern vielmehr darum zu erläutern, wie diese Leistungen erbracht werden. Dies erfolgt immer in Wechselwirkung mit der Zielgruppe, den Methoden und den jeweiligen Rahmenbedingungen. Eine erstellte Leistungsbeschreibung dient den Mitarbeitenden als Leitfaden, um festzulegen, wie eine Leistung wirksam und zuverlässig erbracht werden sollte, einschließlich der Methoden, des notwendigen Aufwandes und gegebenenfalls der materiellen Ressourcen.
Im Fokus steht nicht die Festlegung von allgemeinen Standards, sondern vielmehr die inhaltliche Gestaltung, um Leistungsberechtigte dazu zu befähigen, eigenständige alltägliche Aufgaben, wie das Zubereiten von Mahlzeiten auszuführen. Mit dieser Erstellung wird eine Übereinkunft erzielt, wie die Leistungen erbracht werden, personenunabhängig.
Fachkonzepte im Kontext der Qualitätssicherung:
Gemäß § 37 SGB IX ist die Kontinuität der Qualitätskontrolle bei der Erbringung von Leistungen von großer Bedeutung. Allein das „Vorhandensein“ eines Qualitätsmanagement-Systems (QM) genügt nicht, um sicherzustellen, dass die fachliche Tiefe und die fortlaufende Weiterentwicklung der Leistungen für die Eingliederungshilfe erfüllt werden.
Hier kommt das Fachkonzept als Wissensmanagementinstrument zum Einsatz: Erfahrungen und Prozesse zu erfassen und festzuhalten, wobei das gewonnene Wissen so organisiert wird, dass es zur Verbesserung der Qualität und Anpassung der Leistungen verwendet werden kann. Das Qualitätsmanagement entwickelt sich zu einem dynamischen System, das den Teilhabeprozess fördert. Durch ein wirksames QM wird gewährleistet, dass nicht nur generelle Qualitätsstandards erfüllt werden, sondern auch, dass die Leistungen inhaltlich und methodisch auf dem neuesten fachlichen Stand bleiben. Ein kontinuierliches Überprüfen der Effektivität und die Anpassung an neue wissenschaftliche Erkenntnisse erfordern ein gezieltes Wissensmanagement, das im Fachkonzept verankert ist.
Die relevanten Prozesse, wie beispielsweise das Personalmanagement, werden speziell unter Berücksichtigung der Bedürfnisse der Zielgruppe und der Anforderungen an die Leistungserbringung betrachtet. Bei der Entwicklung der Fachkonzeption werden Anforderungen an das Personal definiert, Fort- und Weiterbildungsmöglichkeiten verankert und die Einarbeitung von neuen Mitarbeitenden beschrieben.
Die Festlegung des „Wie“ erfolgt durch die Beschreibung von Qualitätsmanagement-Prozessen. Bei der Beantwortung der vorherigen Themen drängt sich schnell die berechtigte Frage auf, welche Anforderungen die Mitarbeitenden haben und welche Art von Mitarbeitenden in Zukunft benötigt werden. Es ist erforderlich, die Lösungen in der Konzeption zu dokumentieren, da sie den strukturellen Rahmen bilden. Es geht nicht darum, geeignete Antworten für den Leistungsträger zu finden, sondern vielmehr Richtlinien und Normen festzulegen, die unmittelbar mit der Erbringung von Leistungen in Verbindung stehen. Die Verknüpfung dieser Inhalte führt zu einer erhöhten Klarheit des Bildes für sämtliche Beteiligte am Prozess.
Fazit:
Gemäß den gesetzlichen Bestimmungen des SGB IX sind Anbieter dazu verpflichtet, systematisch Informationen über die Rehabilitation und Integration von Menschen mit Behinderungen zu sammeln, zu strukturieren und fortlaufend anzupassen. Diese Kriterien sind essenziell für ein effektives und ganzheitliches Fachkonzept in der Eingliederungshilfe und dienen nicht allein als Mittel zur Umsetzung des BTHGs. Die Entwicklung einer Konzeption stellt vielmehr einen umfassenden Veränderungsprozess in der Unternehmensstruktur dar.
Durch die Erstellung werden die verschiedenen Kernbereiche der modernen Eingliederungshilfe offensichtlich, wobei Bestehendes überprüft und Veränderungen methodisch in Gang gesetzt werden. Abschließend fungiert das Fachkonzept als Leitfaden für sämtliche Beteiligten (wie u.a. Leistungserbringer, Leistungsträger, Leistungsberechtigte und externe Stakeholder), indem es klare Richtlinien, Handlungsanweisungen und ökonomische Aspekte festlegt und überprüfbar macht.
Gleichzeitig fungiert die Konzeption als essenzielles Instrument des Wissensmanagements für Anbieter von Eingliederungshilfe, das sowohl aus der Verpflichtung resultiert, die gesetzlichen Anforderungen zu erfüllen, als auch die Qualität der erbrachten Dienstleistungen fortlaufend zu verbessern.
Das Implementieren und Fortführen eines Wissensmanagements mithilfe des spezifischen Fachkonzepts der Leistungserbringer ist entscheidend, um sowohl die Leistungsfähigkeit zu gewährleisten als auch die Effizienz zu erhalten oder zu verbessern (vgl. Schmidt 2016: 166f.).
Neben den betriebswirtschaftlichen Zielen kann das Fachkonzept auch als präventive Maßnahme gegen den drohenden Wissensverlust durch den Generationenwechsel und den fortwährenden Fachkräftemangel in Unternehmen betrachtet werden. Aktuelle fachliche Konzepte spielen eine entscheidende Rolle, um Wissen langfristig zu bewahren und die anhaltende Qualität der Leistungen in der Eingliederungshilfe zu sichern.
Literaturverzeichnis: Schmidt, Michael (2016): Wissensmanagement in sozialen Organisationen: Intellektuelles Kapital erfassen, analysieren und bewerten. In: Whörle, Armin (Hrsg.): Auf der Suche nach Sozialmanagementkonzepten und Managementkonzepten für und in der Sozialwirtschaft. Band 3. Regensburg: Walhalla