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„Wer trägt in Zukunft die Verantwortung,
wenn keiner mehr Chef werden will?“

Artikel von Daniel Beckers und Eszter Facsar​

Die Babyboomer-Generation, geboren zwischen 1955 und 1969, scheidet nach und nach aus der Arbeitswelt aus. Damit einhergehend werden zahlreiche Leitungspositionen vakant. Diese und weitere Stellen mit Leitungsverantwortung nach oder neu zu besetzen, gestaltet sich jedoch immer schwieriger. Deshalb besteht neben dem allgemeinen Personalmangel mittlerweile auch ein akuter Führungskräftemangel, der sich in den nächsten Monaten und Jahren weiter zuspitzen wird. Auch, oder insbesondere in der Sozialwirtschaft, in der sich bereits seit längerem ein deutlich negativer Trend zeigt: Nur noch wenige wollen Chef werden und die Verantwortung übernehmen.

Die genauen Gründe hierfür sind unklar. Naheliegend ist jedoch, dass die Coronakrise zahlreichen potenziellen Leitungskräften vor Augen geführt hat, welch enorm hohe Verantwortung gerade in der Sozialbranche getragen werden muss. Hinzu kommt, dass sich die gesetzlichen, haftungsrechtlichen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen, u. a. aufgrund von immer mehr Transparenz und immer weniger verbliebenen Handlungsspielräumen, aus Sicht der Personen die die Verantwortung tragen bzw. sie zukünftig tragen sollen, stetig weiter verschlechtern. Zudem ist gerade bei den jüngeren Generationen eine deutlich veränderte Einstellung zu erkennen, da eine Vielzahl von ihnen nicht mehr lebt um zu arbeiten, sondern arbeitet um zu leben. Im Fokus steht demnach nicht mehr die Karriere, sondern eine ausgeglichene Work-Life-Balance.

Damit es Organisationen trotz dieser erschwerten Voraussetzungen weiterhin gelingt Führungspositionen zu besetzen, muss dem Thema deutlich mehr Aufmerksamkeit gewidmet werden als in der Vergangenheit üblich und wesentlich früher angesetzt werden. Im Klartext: Bei bereits bestehendem Bedarf eine Stelle auszuschreiben, reicht bei weitem nicht mehr aus! Um sich nicht dem fast aussichtslosen Wettbewerb um Führungskräfte auf einem überhitzten Arbeitsmarkt stellen zu müssen, sollten vielmehr neue Ansätze entwickelt werden, z. B. wie man möglichst frühzeitig Talente findet, diese in der eigenen Organisation entwickelt und sie langfristig an sich bindet. Im Zuge einer Nachfolgeplanung könnten dann frei werdende Positionen mit selbst ausgebildeten Nachwuchsführungskräften aus dem eigenen Unternehmen nachbesetzt werden.

Dies würde zahlreiche Vorteile mit sich bringen. So ist davon auszugehen, dass die eigens ausgebildeten Talente deutlich schneller in der neuen Position wirksam werden könnten als neu hinzugewonnene Externe, da sie die vorhandenen Strukturen innerhalb der Organisation kennen und die firmeneigene DNA bereits verinnerlicht haben. Darüber hinaus würden sich nicht unerhebliche zeitliche sowie finanzielle Einsparungen beim Recruiting ergeben und zusätzliche Kosten, z. B. für die interimistische Besetzung einer Führungsstelle, könnten von vorneherein vermieden werden.  

Ein solcher Talent-Management-Ansatz sollte inhaltlich-konzeptionell entwickelt werden. Um dabei den unterschiedlichen Schwerpunkten innerhalb der mehrjährigen Laufzeit des Prozesses gerecht zu werden, empfiehlt sich eine Aufteilung in mehrere Phasen.

 Phase 1: Identifizierung

Die erste Phase befasst sich mit der Identifizierung der Menschen, die man in den nachfolgenden Phasen zu neuen Führungskräften entwickeln will. Hierzu sollte man zunächst die Voraussetzungen in der eigenen Organisation schaffen. Um geeignete Kandidat:innen zu finden, sollte ein internes Talent-Scouting-Programm aufgesetzt sowie etabliert werden. Hierbei ist es wichtig, dass nicht nur die zuständigen Mitarbeiter:innen aus dem Personalmanagement, sondern insbesondere auch die Führungskräfte eingebunden werden, da es oftmals diese sind, die potenzielle Talente im täglichen Geschehen entdecken und auf den ersten Schritten begleiten. Sofern Mitarbeiter:innenjahresgespräche bereits eingeführt sind, können entsprechende Aspekte zur Eignung oder Entwicklung im Führungskontext in diesen berücksichtigt werden.

Flankierend zu den internen Aktivitäten muss dafür Sorge getragen werden, dass immer wieder neue Talente den Weg in die Organisation finden. Themen wie Ausbildung, Praktika und Studenten-Jobs gewinnen dabei zunehmend an Relevanz, da der Arbeitsmarkt für etablierte Führungskräfte völlig überhitzt ist und es in vielen Fällen wesentlich effizienter erscheint, Talente früh zu finden und sie selbst zu entwickeln. Auch bei Bewerbungsverfahren die sich nicht auf eine leitende Funktion beziehen, sollte zumindest ein Auge darauf geworfen werden, ob der oder die Bewerber:in perspektivisch für eine Führungsrolle infrage kommen könnte. Einmal identifiziert bzw. gewonnen, sollte zum Auftakt ein Potenzialgespräch mit der Nachwuchsführungskraft stattfinden, in dem der Führungskräfteentwicklungsansatz vorgestellt und der weitere gemeinsame Weg grob geplant sowie vereinbart wird.

Phase 2: Vorbereitung

Die Vorbereitung auf die zukünftige Führungsrolle ist Schwerpunkt der nächsten Phase. Als Basis für alle weiteren Aktivitäten sollte in einer Art Gap-Analyse festgestellt werden, welche Anforderungen die einzelne Person bereits erfüllt und in welchen Bereichen sie sich noch entwickeln muss. Mit diesen Erkenntnissen kann dann ein individuell zugeschnittenes Entwicklungsprogramm aufgesetzt werden.

Neben möglichen extern durchgeführten Fort- und Weiterbildungen, wie z. B. der Qualifikation zur Einrichtungs- oder Bereichsleitung, könnten auch Coachings firmeninterner Expert:innen, z. B. zu betriebswirtschaftlichen Inhalten, Bestandteil des Programms sein. Da sich diese Phase meist über ein oder mehrere Jahre erstreckt, sind regelmäßig stattfindende Entwicklungsgespräche wichtig, um der Nachwuchskraft Orientierung zu geben, die Entwicklung zu überwachen und ggf. Anpassungen vorzunehmen. Vom Einstieg in das Talent-Management-Programm bis zur Etablierung in der Zielposition, sollten die Talente durch eine:n Mentor:in begleitet werden.  

Phase 3: Übergang

Die Zeit zwischen dem Abschluss des Entwicklungsprogramms und der Übernahme der Zielposition, ist eine der kritischsten Phasen und häufig entscheidend, da zahlreiche Talente das Unternehmen verlassen, wenn ihnen nicht unmittelbar nach Abschluss der Vorbereitungsphase die in Aussicht gestellte Zielposition angeboten werden kann. Es ist deshalb eminent wichtig, der zukünftigen Führungskraft in dieser Übergangsphase attraktive Alternativen, wie z. B. eine führende Rolle in einem wichtigen Projekt, eine Position als stellvertretende Leitung oder auch eine Assistenzfunktion, anbieten zu können.

Ein besonders attraktives Angebot könnten so genannte Leadership-Lessons sein. Bei diesen nehmen sich zentrale Entscheider im Unternehmen Zeit für die Talente und geben ihnen fachlichen Input zu zentralen Führungsthemen, wie z. B. Unternehmensentwicklung oder Strategie, oder berichten von ihrem eigenen Karriereweg sowie wichtigen Erfahrungen und Erkenntnissen aus dem Leben als Führungskraft.    

Alle Aktivitäten in dieser Phase sollten darauf ausgerichtet sein, den oder die Mitarbeiter:in an das Unternehmen zu binden.

Phase 4: Einstieg

Ein guter Einstieg ist bei Übernahme der Zielposition der erste wichtige Schritt, denn es gibt bekanntlich keine zweite Chance für den ersten Eindruck. Dies gilt sowohl für den Ersteindruck der neuen Führungskraft von ihrer neuen Aufgabe, als auch für den ersten Eindruck des Teams von ihrer neuen Chefin bzw. ihrem neuen Chef. Deshalb sollte der Onboarding-Prozess dezidiert geplant werden. Hierbei ist entscheidend, dass ein wirksamer und damit im weiteren Verlauf erfolgreicher Prozess bereits weit vor dem ersten Arbeitstag beginnt, z. B. mit der rechtzeitigen Information an das Team, dass eine neue Leitung ihre Arbeit aufnimmt, der Vorbereitung des Arbeitsplatzes oder auch der vorher abgeschlossenen Besorgung und Einrichtung von IT-Hard- und Software. Darüber hinaus müssen die ersten Arbeitstage so strukturiert werden, dass die neue Führungskraft in kürzester Zeit möglichst viele Teammitglieder kennenlernt und dabei alle für die Übernahme der Verantwortung relevanten Informationen erhält.

Da auch das beste Entwicklungsprogramm nicht auf alle Herausforderungen der realen Welt vorbereiten kann, sollte die Einstiegsphase weiterhin eng durch die Mentor:in begleitet werden. Identifizierte Entwicklungsbedarfe sollten auch in dieser Phase durch passgenaue Coachings oder Trainings adressiert werden. Z. B. wenn sich die Führung von Mitarbeiter:innen schwieriger als erwartet gestaltet oder die Last der Verantwortung anfänglich zu schwer auf den Schultern lastet.   

Phase 5: Bindung

In der Zielposition angekommen und etabliert, gilt es die neue Führungskraft langfristig an das Unternehmen zu binden. Hierzu gibt es zahlreiche Möglichkeiten, die insgesamt zusammenwirken müssen. Eine Facette ist beispielsweise die Bindung durch individuelle Weiterentwicklungsmöglichkeiten, also z. B. die Aussicht und das Hinarbeiten auf eine neue Zielposition, die Möglichkeit einer Weiterqualifizierung oder auch die Aufnahme eines berufsbegleitenden Studiums. Eine weitere ist es, eine Bindung über die Sinnhaftigkeit des Jobs herzustellen, was in der Sozialwirtschaft im Regelfall kein Problem darstellen dürfte, da wohl in kaum einem anderen Sektor der originäre Auftrag so sinnvoll ist wie in einem Feld, indem es um die Arbeit von Menschen mit Menschen für Menschen geht. Darüber hinaus ist die Kultur des Unternehmens, maßgeblich geprägt durch die Führungsphilosophie, ein wichtiger Bindungsfaktor. Doch es geht nicht nur um das Hier und Jetzt. Das Unternehmen muss dafür Sorge tragen, dass es nicht nur aktuell, sondern auch in der Zukunft eine ausreichende Anzahl an Faktoren sowie Gründen gibt, die Führungskräfte dazu bewegen, dem Arbeitgeber treu zu bleiben. Hierzu bedarf es Visionen und Perspektiven: Sowohl übergeordnet für das gesamte Unternehmen, als auch auf persönlicher Ebene, also für die Führungskraft selbst.  

Der vorab in Auszügen beschriebene Talent-Management-Ansatz startet wesentlich früher, als heute zumeist üblich. Talente sollen bereits am Anfang ihrer Karriere gefunden und bei ihrer Entwicklung begleitet sowie unterstützt werden. Ziel ist die frühestmögliche Bindung an das Unternehmen. Denn: Gute Führungskräfte sind eine der wichtigsten Voraussetzungen für den Erfolg. Sie sorgen für Qualität, sind Vorbild und Motivation für ihre Kollegen, prägen Stimmungen sowie die Art der Zusammenarbeit. Sie stellen die Weichen für die Zukunft. Wer sie gewinnen und langfristig an sich binden will, benötigt nicht nur einen guten Plan, sondern auch den Mut sowie die Entschlossenheit, diesen in die Tat umzusetzen.

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